der nestbeschmutzer - Tom Liehr : Prof. Dr. Dipl.-Schriftsteller

Gerlinde Gargut wollte schon immer Schriftstellerin werden. Ihre ersten zappeligen Gehversuche mit sechs: Märchennacherzählungen, die sich die geduldigen Geschwister anhören mußten, dann selbstverfaßte Puppentheaterstücke, der Verwandt- und Bekanntschaft vorgetragen, die verschämt nach der Hausbar mit dem Asbach und der Schachtel Ernte 23 auf dem Couchtisch schielte, während der unermüdliche Kasper mit der Pappmachékeule auf den Bösewicht eindrosch. Später die unvermeidliche Lyrik, in der Frühpubertät. Schließlich ein paar Kurzgeschichten, Urlaubserlebnisse, Liebeleien, alles frisch erlebt in Prosa gegossen. Freundin Conny war begeistert - Freundin Conny sammelte Porzellanpüppchen.
Gerlinde Gargut glaubte es von ganzem Herzen: In ihr wuchs die Belletristikerin, und obwohl alle Einsendungen zu kleinen und größeren Literaturwettbewerben unbeantwortet blieben, erhitzte sich ihre Gesichtshaut, als das Angebot ins Haus flatterte: Jeder kann schreiben! In zwölf Monaten zum Erfolgsschriftsteller mit der Herrmann-Heine-Akademie!

Heine - schon der Name überzeugte. Die 200 Euro im Monat waren zwar kein Pappenstiel, würden sich aber lohnen. Ein eigener Lektor stünde zur Verfügung, der die monatlichen Übungen bearbeiten würde, die Herrmann-Heine-Akademie gehörte zur Heinrich-Hesse-Gesellschaft, noch so ein Name, und ein Argument beseitigte die letzten Zweifel: Die angeschlossenen Verlage - allesamt große, große Namen - stünden in der ersten Reihe, wenn es darum ginge, die Traktate der Diplomanden zu veröffentlichen. Der Kontrollblick auf das Bücherregal reduzierte die Entschlußkraft ein wenig, denn da stand kein einziges Werk, das in einem der genannten Verlage veröffentlicht war, aber da Gerlinde Gargut nur zwei Dutzend Bücher besaß, davon zehn einer einzigen Autorin, schob sie die leichte Unsicherheit beiseite, zumal sich Conny der Begeisterung anschloß - auch sie würde das Schriftsteller-Diplom machen, wäre doch wunderbar, sagte sie, dann könnten beide gemeinsam Liebesromane schreiben. Gerlinde lächelte in sich hinein: Selbst die kurzen Briefe, die Conny schrieb, waren unlesbar, grauenhaft, verwirrt. Sie war gespannt auf den ersten Vergleich, wenn die Gutachten der Lektoren einträfen.
Drei Tage und Nächte hockte sie an der ersten Übung, der Fortsetzung eines vorgegebenen Szenarios: Mann und Frau nachts im Nirgendwo unterwegs, da streikt der Wagen - der Mann macht sich auf den Weg, um Hilfe zu suchen, die Frau bleibt im Auto. Gerlinde Gargut verfaßte eine Kriminal-Liebesgeschichte, zehn Seiten, alles drin, alles dran, Herz, Schmerz, Schock, Angst, Leidenschaft. Conny weigerte sich, ihre Übung zu zeigen, aber als zwei Wochen später die Wertungen eintrafen, klingelte das Telefon von Gerlinde Gargut just in dem Moment, als sie Conny anrufen wollte.
"Du glaubst es nicht!" krähte die Porzellanpuppensammlerin. "Eine Meisterin der Kurzgeschichte! Schwarz auf weiß! So hat mich der Mann von der Akademie genannt! Du glaubst es nicht!"
Gerlinde Gargut war konsterniert, denn diese Formulierung hatte sie in ihrem Brief ebenfalls vorgefunden.
"Eine Meisterin der Kurzgeschichte - Du?" krähte sie wenig feinfühlig zurück. "Du kannst noch nicht einmal Briefe schreiben."

Noch Tage nach dem Zerwürfnis war Gerlinde Gargut wütend, redete sich allerdings ein, daß das nur ein Mißverständnis gewesen sein konnte. Sie war die Meisterin. Conny - ein lieber Mensch, etwas einfältig zwar, aber lieb. Und sicher kein Schriftsteller.

Monate später, kurz vor dem Diplom, traf ein Brief der Heinrich-Hesse-Gesellschaft ein. Man sei auf sie aufmerksam geworden, ein Lektor der Herrmann-Heine-Akademie hätte sie dringend empfohlen. Ob sie genügend Geschichten zur Verfügung hätte, um eine Anthologie zu füllen. Gerlinde Gargut fühlte sich von einem Raketentriebwerk in den siebten Himmel katapultiert. Einen Moment lang war sie versucht, Conny anzurufen, aber nein: Damit könnte sie noch warten, bis das Buch auf dem Markt wäre.

Der Rest ist schnell erzählt. Über zehntausend Euro kostete der "Risikobeitrag", den Gerlinde Gargut leisten mußte, um ihre Anthologie "Liebe und Schmerz" auf den Markt zu bringen. Man versicherte ihr, daß das Geld schnell wieder reinkäme: Sie war schließlich eine Meisterin der Kurzgeschichte! - wiederholte der Chef des Jakob-Maria-Simmel-Verlags, die Tochtergesellschaft der Heinrich-Hesse-Gesellschaft, die ihre Ergüsse publizierte.
Gerlinde gab eine Party, zeigte stolz das - zugegeben etwas trist gestaltete und auch nicht ganz fehlerfrei gesetzte - Buch im kleinen Freundeskreis herum. Fünfzig Exemplare besaß sie, aber sie verschenkte keines: Sollten die Freunde doch in die Buchhandlungen gehen und nach ihrem Namen fragen.
Sie würden schon sehen.
Sie sahen nichts.
Den Freunden von Conny erging es ebenso.

Ach, Leute. Nicht überall, wo "Akademie" draufsteht, ist eine drin, und "Verlag" kann sich jeder nennen, das sind beides keine gesetzlich geschützten Begriffe. Nutzt lieber die vielen kostenlosen oder -günstigen Angebote für interaktive Schreibkurse- und -werkstätten, geht notfalls zur Volkshochschule oder schreibt Euch in die öffentlichen Kurse der Universtitäten ein, aber investiert Eurer Geld nur dann in sogenannte Diplome, wenn Ihr sicher wißt, daß auch eine brauchbare Ausbildung angeboten wird, daß es sich nicht um Bauerfängerei handelt - ein Zertifikat kann jeder ausstellen, aber ob es wirklich die Veröffentlichungschancen erhöht, steht auf einem anderen Blatt Papier. Fragt andere, recherchiert ein bißchen im Internet, bevor Ihr Euch bei so was einschreibt.
Bedenkt, daß man nicht lernen kann, gut zu erzählen, man kann nur lernen, mit dem notwendigen Handwerkszeug umzugehen: Alles darüber hinaus sind schwer haltbare Versprechungen, die mit extrem großer Vorsicht zu genießen sind. Laßt Euch nicht von überzogenem - und meistens leider grundlosem - Lob verblenden; ein Kursteilnehmer, der nur hart kritisiert wird, verliert schnell die Lust, seine Gebühren zu entrichten. Positive Resonanz sichert den Kundenstamm.
Und, vor allem: Bezahlt nicht dafür, veröffentlicht zu werden.
Kauft Euch lieber ein Pferd, ein Auto oder geht auf eine Weltreise.

Tom Liehr gewann 1990 den ersten und dritten (!) Preis im Short-Story-Wettbewerb des Playboy, seine Geschichten und Kurzkrimis wurden in mehreren Anthologien namhafter Verlage publiziert. Sein Romandebüt Radio Nights erscheint im Mai 2003 im Aufbau Verlag.